Einige behaupten, der Priester Vorkh'Hagorn war von den Göttern dazu bestimmt, die Urgründe des Landes Nostria zu erforschen. Uralte Lügen aufzudecken und eine allumfassende Bschreibung des Landes zu erschaffen, die es zuvor niemals in solchem Umfang gegen hatte und wohl auch niemals wieder geben wird. Das Buch - im Originaltitel der belischen Priestersprache "Sinilur Loghan Atrumur - Legenden des geteilten Landes" - hat vielleicht die Kraft, die alten Vorurteile ein wenig zu lockern und den Weg zu einer Versöhnung im Lande Nostria einzuleiten. Vielleicht...
Kapitelübersicht 1. Zeiten ohne Erinnerung Die Zeit vor den Menschen, Das Gesicht des Landes 2. Der Ursprung der Völker Die Legenden der Belier, Die fahrenden Händler, Diener des Feuers 3. Zum Reich von Nostrom Das Großreich, Die Seekriege 4. Zur Hegemonie von Bel Der Zorn des dunklen Adels, Das Bündnis gegen Bel, Die Vernichtung Bels 5. Das bittere Zeitalter Die Unterdrückung der Kleinbelier, Der Flammenzug, Die Herrschaft des Feuers 6. Die zweite Stadt Bel aus der Asche, Bürgerkriege im Schatten, Was bleibt
Kapitel 1. Zeiten ohne Erinnerungen Die Zeit vor den Menschen Am Anfang war das Land, und das Land war ohne Menschen. Ich schreibe über jenes Land, das zahllose Jahrhunderte später unter seinen Bewohnern als Nostria bekannt sein sollte. Wenn das Land jedoch zuvor schon einen Namen getragen hatte, so war dieser vergessen worden, lange bevor das Menschengeschlecht seine ersten Schritte in die neue Heimat setzen sollte. Wie mag das Land damals ausgesehen haben? Waren die Ebenen schon damals Weit und Früchtig gewesen, durchzogen von blühenden Hainen und grasenden Tierherden? Waren die Küsten so rau und unbarmherzig wie sie die Seefahrer unserer Tage kennen? Durstig nach Tod, jedoch niemals auch nur einen Tropfen frischen Seemannsbluts kostend? Waren etwa die Gebirge dunkel und kahl, sich den eisigen Höhen entgegenstreckend, ganz so, wie sie es heute noch tun? Es ist schwer, das zu glauben. Ich, der ich alle diese Orte schon mit eigenen Augen gesehen habe, kenne das Gefühl welches das Land versprüht: Ob durch Schönheit oder durch Schrecken, all die unterschiedlichen Gebiete scheinen, als wollten sie mit uns sprechen. Zu wem sprachen sie mit ihrer Liebe und ihrem Hass, bevor die Menschen sie betraten? Es war diese eine Frage, die mir in meinem langen Leben keine Ruhe lies. Mich durch die so unterschiedlichen Gefilde unserer Heimat schickte, auf den höchsten Felsen, in die tiefste Bucht. Ob es das Land selbst war das mich führte, oder der Wille unserer beiden zänkischen Götter... Ich kann es nicht sagen. Jedenfalls führte mich die Suche nach dem Land und dem Leben vor unserer Zeit auf den unvermeidlichen Pfad in unsere eigene Vergangenheit. Und obwohl letztlich die Frage, die noch immer in meinem Herzen brennt, bisher nicht beantwortet werden konnte, so kann ich mit diesem Werk zumindest die Fragen Vieler Anderer beantworten. Die zahlreichen Fragen, wie es dazu kam, wer wir heute sind. Warum wir all diese schrecklichen Leiden erdulden mussten und müssen. Warum das Land und wir niemals zur Ruhe kommen scheinen. Ich gehe mit keiner Illusion an dieses Werk, dass die Antworten es vermögen könnten, die alte Wunden zu heilen, oder dass der Hass mit dem Balsam der Vergangenheit gemildet werden könnte. Doch zumindest werde ich den Brand der Neugierde löschen können. Dies, nach all den vergeblichen Jahren des Suchens und Forschens, sei mir zum Wohlgesinn...
Das Gesicht des Landes Bevor ich jedoch beginne mit den Wegen und Irrwegen unserer Vorväter, soll das Land selbst zum Leser sprechen, wie es auf meiner Reise zu mir sprach. Wie viele von uns verbringen ihr Leben in einer florirenden Stadt des Südens, und kennen doch die raue Welt des Nordens nicht? Wie viele aus dem hohen Nord verfluchen die Dekadenz und die Faulheit der Südlinge, doch könnten vom Glanz und der Pracht des Südens nicht einmal träumen? Darum, um jenen Menschen, die nicht das Mühsal einer Wanderung auf sich nehmen wollen oder können, ein Bild zu machen, lasse ich das Land hier sprechen.
Der Süden Die Gelehrten aller Völker teilen unseren Erdkreis seit jeher in die Gefilde Norden, Osten, Süden, Westen. Die südlichen Gebiete sind im gemeinen flach und von großen Wiesen durchzogen, die widerrum von zahlreichen Flüssen und Seelandschaften unterbrochen werden, welche von den rauschenden Strömen des Nordens und den sehr häufigen Regengüssen gespeist werden. Obwohl das ganze Land so fruchtbar und voller Leben ist, finden sich die meisten Städte heute an den Küsten. Sie nehmen jene Buchten und Landzungen ein, an denen man gefahrlos mit einem Schiff anlegen kann. Nur wenige Städte strecken ihre Arme über die breiten Felder und Wiesen aus. Stattdessen folgen den weitverzweiten Straßen ins Landesinnere zahllose Gehöfte, Weiler und Dörfer, die ihre angebauten Feldfrüchte gegen den Fisch und das Fleisch der Küste eintauschen. Die Städte im Süden sind durch den Fischfang, die Landwirtschaft einiger in Abhängigkeit stehender Bauern und den Handel reich geworden, reicher als alle anderen Städte innerhalb von Nostria, wie die Küstenbewohner das Land zu nennen pflegen. Während ich dies Schreibe, gehören die meisten Städte an der Küste zum Kaiserreich Innosia. Ihre Kultur ist jedoch weit älter als dieses noch sehr junge Reich, dass grade seine ersten wankten Schritte als Nachfolger der alten Imperien wagt. Viele der hohen und unüberwundenen Mauern stehen seit Generationen, und in den Bibliotheken lagert die Weisheit vieler vergessener Gelehrter.
Der Osten Auch das östliche Land ist im Grunde Küstengebiet, was der halbinselartigen Natur desselben geschuldet ist. Doch vom eigentlichen Süden unterscheidet es sich durch zwei Eigenschaften: Den Bewohnern und der Küstenlinie an sich. Letztere wird nicht von gefährlichen Steilklippen und Untiefen beherrscht, dafür jedoch überschwemmen die Gezeiten regelmässig das ungeschütze Land und lassen eine ausgedehnte Sumpflandschaft entstehen. Steinerne Städte finden sich hier nicht: Stattdessen sind die Siedlungen des Volkes der Saracer, das hier schon länger als die Innosia heimisch ist, zumeist aus Holz erbaut. Nur die Herren der Oberschicht können sich Steinbauten auf den festen Inseln leisten. Anders als bei den Innosia sind die Städte auch großflächiger über das Gebiet verteilt. Die Bewohner müssen sich gegen die gefährlichen Sumpfhaie, Sumpfgasdronen und sogar Seekreaturen verteidigen die bei Flut in die Sümpfe und Kanäle gelangen.
Der Westen Im Westen wird man, obwohl auch hier das Meer die natürliche Grenze bildet, keine Häfen, Städte oder auch nur Buchten finden. Der Westen ist ein sanft ansteigendes Hochland mit einer überall steil abfallenden Küste aus weißem Stein. Die weiten Felder haben einen recht steinigen Boden, so das Landwirtschaft hier schwieriger bis unmöglich ist. Das Land wird hier vorallem von wandernden Scavengerherden dominiert, denen ab und an Jäger nachstellen. Bemerkenswert sind die geometrisch angeordnen Steinformationen, die verstreut in der Landschaft zu finden sind. Ungewiss, ob die Götter die Steine so zu Boden schmetterten, oder ob die Menschen sie einst errichteten. Viele der ältesten Formationen bestehen jedoch nicht mehr: Der weiße Stein ist im Süden begehrt, für Statuen, Schreine, Säulen, Tempel.
Der Norden Nördlich von all den fruchtigen Ebenen, Auen und Wiesen liegt ein Gebiet, dass von keinem Schiff je erreicht werden kann. Die Bewohner haben den Namen „Schlundgebirge“ für das unwirtliche Hochland aufgrund seiner zahlreichen Höhlen und Gruben gewählt, indes alleine die Bezeichnung „Gebirge“ für die meisten Menschen südlich vom Hochland abschreckend und feindselig klingt. Nicht ohne Grund. Das Land hier ist steinig und meist trocken. Nur in den wenigen Sumpftälern und Flussgebieten findet sich fruchtbarer Boden, nur hier haben jemals große Städte der Menschen fußgefasst. Viele der Bewohner, die sich selbst Belier nennen, was soviel wie „Vom Gott Beliar abstammend“ bedeuten mag, haben jedoch das Mühsal auf sich genommen, auch die spröden Bergpässe und eisigen Gebirgsseen für sich zu beanspruchen. Das Land fordert dort von Menschen das Äußerste. Bluthunde, Beißer und anderlei fleischfressendes Getier treibt dort sein Unwesen. Als einzigste Pflanzenfresser gelten Molerats, doch sie sind rar und hauptsächlich in den Tälern anzufinden. Was lebt, frist sich in der Regel gegenseitig. Die Bluthunde, Einzeln oder in Rudeln, sind die größte Gefahr für Mensch oder Untier. Nicht minder bedrohlich sind die gewaltigen Insekten, Minecrawler, die ihre widerlichen Nester in den zahllosen Höhlen oder sogar in offenen Schluchten spinnen und sich lautlos an jeden Wanderer anpirchen der sich in ihr Gebiet wagt. Selbst dort, wo steile und brüchige Klippen jedes Klettern und somit bestiales Leben unmöglich machen sollten, ist man nicht sicher: Menschengroße Flugechsen stürzen sich vom grauen Himmel hinab und zerfetzen alles sich Regende bei lebendigem Leib. Je weiter es in den Norden geht, desto rauherziger und todbringender wird das Land. Es wird auch dunkler. Die Sonne vermag kaum mehr über die höchsten Bergspitzen zu steigen, bis sie schließlich ganz hinter Ihnen verschwindet und einem Land der ewigen Dämmerung die Herrschaft überlässt. Hier, wo es niemals Licht gibt, wagen sich selbst die meisten Bestien nicht hin. Die Leichen närrischer Wanderer verwittern hier im ewigen Schatten, nur ab und zu erleuchtet vom vorbeiziehendem Mond. Da kein Untier sie jemals anfrisst, sollen dort die Körper von Jahrtausenden unangetastet auf dem staubigen, kalten Boden liegen.
Kapitel 2. Der Ursprung der Völker Die Legenden der Belier Ich endete mit ihrem Land, und werde auch sogleich mit ihrer Geschichte fortfahren. Den das Volk der Belier ist wohl das erste Menschengeschlecht, das seinen Fuß auf das Land setzte, und das obwohl sie sich vom Meer immer ferngehalten haben. Woher sie kamen ist ungewiss und lässt sich nicht einmal aus ihren Legenden und Traditionen erkennen, die alles auf Beliar, den Schöpfer der Nacht und des Todes, zurückführen. Den ältesten Legenden der Belier nach -jenen die sie meist selbst nicht eimal mehr kennen oder die sie bewusst verfälscht haben- hatten Innos und Beliar gemeinsam die Menschen geschaffen. Da die Menschen jedoch am Tage arbeiteten, die Sonne verehrten und Nachts ruhten, ward Beliar erzürnt, den die Menschen vergaßen ihn völlig, oder hassten ihn sogar, da sie die Wichtigkeit der Nacht und des Todes nicht verstanden. Nur wenige Menschen waren Beliar wohlgesonnen: Solche, die Nachts die Gemeinschaft verteidigten während die Übrigen schlief. Oder jene, die die Toten beerdigten und dafür beten das Beliar ihnen Frieden gab. Beliar wählte diese und andere Menschen aus und zeigte ihnen ein Land, das ihnen alleingehören sollte . Dort blieben sie bis heute... Mag diese Geschichte wahr sein? Noch heute sind die Belier bei den Innosia dafür bekannt, den Tag zu Hassen und Nachts ihr Werk zu verrichten. Ihre bleiche Haut verbrennt recht schnell in der Sonne und wenn sie zu viel Zeit am Tage draußen verbringen, so erblinden ihre Augen. Doch ist es ein Segen Beliars, oder die Folge vieler Generation? So oder so, erscheint es mir logisch, dass die Belier ursprünglich nicht aus diesem Land stammen. Zu oft berichten ihre Legenden von einer Großen Reise, zu oft idealisieren die eigentlich sehr sesshaften und trägen Belier das Reisen und Wandern. Und all zu oft Enden ihre Reisegeschichten im Kampf gegen ein „unwürdiges Volk“, gegen „Barbaren“, die weder Beliar noch Innos verehrten, sondern keine Götter kannten und denen sie ihr Land abringen mussten. Bemerkenswert ist, das die Belier nach ihrer Landnahme sich fast völlig in die nördischen Gebirge zurückzoge. An der Gründung von Städten schienen sie kein Interesse zu zeigen und nur sporadisch betrieben sie Ackerbau: Eigenarten, die viele Belier auch in den heutigen Tagen noch praktizieren, so man sie nur in Ruhe lässt. Dennoch. Schon damals entwickelten sie eine erfindungsreiche, wenn auch grobherzige Kultur und rangen den Bergen monströse Festungen und abgeschottete Kloster in schwindelerregenden Höhen ab. Heiligtümer wie Karthya‘Grath und Mor‘Anath gehen wohl auf diese alten Tage zurück und beweisen das Kunsthandwerk der alten Belier. Der zerrütteten Natur ihrer Heimat entsprechend spaltete sich das Volk der Belier in diesen vorzeitigen Tagen wohl schon vornehmlich in kleine Dörfer und Sippen. Die alten Familien -Mador, Athyr, Xor- führen ihre Ursprünge auf diese Zeiten zurück, doch auch wenn ihre Namen und ihr Blut alt sind, darf ihr Anspruch stark bezweifelt werden. Die alten Belier standen quasi ständig im Krieg untereinander. Siedlungen radierten sich in den kargen Wintermonaten gegenseitig aus, zerstritten sich über kultische Angelegenheiten oder brachten ihrem Gott Gefangene als würdiges Opfer dar. Selbst die Kloster wurden nicht verschont: Uralte Zeugnisse der Vergangenheit wurden verbannt oder umgeschrieben, um die Machtansprüche ehrgeiziger Emporkömmlinge zu rechtfertigen und besiegte Feinde in das Vergessen zu stürzen. Dieser kalte Zorn, dieses alles verschlingende Hass ohne Leidenschaft ist der Grund dafür, wieso sich der Ursprung der Belier so schwer zurückverfolgen lässt. Die genannten groben Ereignisse könnten bewiesen werden, an alten Legenden, an vergessenen Gräbern, Fragmenten, Schätzen. Doch die meisten Details müssen für immer spekulation bleiben.
Die fahrenden Händler Als, den Beliern folgend, die ersten Saracer das Land betraten, muss es ihnen noch menschenleer und verwaist vorgekommen sein. Überhaupt hatten die Saracer gar kein Interesse an den tieferen Gefilden: Als Seefahrervolk waren sie mehr an der Erichtung von Handelskolonien statt einer umfassenden Landnahme interessiert. Die Routine mit der an den Küsten Saracerstädte aus dem Nichts entsprangen, spricht für eine lange Tradition der Auswanderung und des Handels. Damals wie heute scheinen die meistenihrer Städte an der östliche Küste gelegen zu haben: Ein Hinweis darauf, in welcher Richtung man über das Meer segeln müsste, um ihre alte Heimat zu finden. Mit den Beliern kamen die Saracer wohl nie so recht ins Warme. Es gab wohl vereinzelte Handelsbeziehungen. Das Kraut, welches die Saracer im Sumpf anzubauen pflegen, hatte eine beruhigende und entspannende Wirkung, die bei den sehr auf ihre stoische Ruhe und Genügsamkeit bedachten Beliern eine gewisse Beliebtheit erfreut. Alles andere an den Saracern blieb den Beliern jedoch verhasst, und ebenso blieb es umgekehrt: Außer dem Gold aus den tiefen Minen gab es nichts, dass die listigen Saracerhändler von dem Völkchen aus dem Gebirge hätte haben wollen. Dabei verehren beide sogar dieselbe Gottheit! Zwar nutzen die Händler und Seefahrer den Tag wie es die meisten Menschen tun- doch danken sie Beliar für die Ruhe der Nacht und für den Reichtum den sie dank seines Segens erhalten. Ob beide Völker selbe Ursprünge haben? Viel spricht nicht dafür, weder ihre Sprache noch ihre Sitten sind sich in irgendeiner Art ähnlich. Einzig ihr Glaube könnte sie verbinden... doch wenn sie beide einst verschwistert gewesen sein Mögen, heute wollen sie jedenfalls nicht mehr besonders viel voneinander wissen. Gemächlich und auf ihren Wohlstand bedacht hätten die Saracer vielleicht niemals einen Krieg in ihrer neuen Heimat begonnen. Den Beliern gingen sie aus dem Weg wenn sich Streitkeiten anbahnten und die wenigen abenteuerlustige Seeräuber aus ihren Reihen fanden in den östlichen, fremden Gefilden immer genug Inseln und Städte, an denen sie ihre Goldgier stillen konnten.